Probleme der Philosophie von Bertrand Russell

Die Bibliothek umfasst den Kanon klassischer Schriften und Abhandlungen, aber auch Zeitschriften-Aufsätze oder philosophische Neuerscheinungen.

Probleme der Philosophie von Bertrand Russell

Beitragvon Matthias » Fr 26. Apr 2024, 00:28

Ich weiss nicht, ob das eine klassische Schrift ist. Ich denke schon. Gemeint ist, Probleme der Philosophie, von Bertrand Russell.
Das Buch beginnt mit der Frage: "Gibt es auf dieser Welt eine Erkenntnis, die so unumstösslich gewiss ist, dass kein vernünftiger Mensch daran zweifeln kann?"
Und weiter: "Auf den ersten Blick scheint das vielleicht keine schwierige Frage zu sein, aber in Wirklichkeit handelt es sich um eine der schwierigsten, die es gibt."

Russell weist dann darauf hin, dass wir die Dinge nicht so wahrnehmen, wie sie sind. Ein uns geläufiges Beispiel wäre ein rechteckiger Tisch. Jeder, der ganz wenig von Geometrie versteht, weiss, dass uns der Tisch, je nach Blickwinkel, nie genau rechteckig erscheint. Soviel ich weiss, wäre das nur dann der Fall, wenn wir ganz exakt von oben (oder von unten) auf den Tisch schauen würden. Wenn wir einen Tisch von einem beliebigen Blickwinkel anschauen, können wir im Prinzip nicht wissen, ob er exakt rechteckig ist. Wir müssen aufgrund von Erfahrungen, die wir früher gemacht haben, darauf schliessen. Dasselbe gilt für eine runde Münze, die uns nur in ganz speziellen Fällen exakt rund erscheint. Aber wir wissen, dass die Münze rund ist. Was wir in der Regel genau sehen, ist aber eine Ellipse.

Wenn man diesen Gedankengang weiter treibt, könnte man am Schluss daran zweifeln, ob es den Tisch überhaupt unabhängig von unserem Bewusstsein gibt. Russell unterscheidet dann weiter zwischen Sinnesdaten und Empfindungen: "Als "Sinnesdaten" wollen wir die Dinge bezeichnen, die uns unmittelbar in der Wahrnehmung geben sind: z. B. Farben, Geräusche, Gerüche, Härten, Rauheiten usf. Als "Empfindung" wollen wir das Erlebnis bezeichnen, das wir haben, wenn wir diese Dinge unmittelbar wahrnehmen."

"Der wirkliche Tisch - wenn es einen gibt - ist uns überhaupt nicht unmittelbar bekannt, sondern muss etwas sein, das aus dem uns unmittelbar Bekannten erschlossen worden ist. Wir müssen uns infolgedessen hier gleich zwei schwierige Fragen stellen: 1. Gibt es überhaupt einen wirklichen Tisch? 2. Wenn ja, was für eine Art Gegenstand kann das sein?"

Analog: 1. Gibt es so etwas wie Materie? 2. Wenn ja, worin besteht das Wesen der Materie?

Für den weiteren Verlauf der Diskussion möchte ich nur noch sagen, dass die Philosophen bisher sich bei Frage eins einig waren, das Problem ist die Frage zwei.
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Re: Probleme der Philosophie von Bertrand Russell

Beitragvon Matthias » So 5. Mai 2024, 13:27

Satz: Materielle Gegenstände existieren unabhängig von unserem Bewusstsein.

Beweis: Wenn ich den Baum vor meinem Fenster eine Stunde lang nicht anschaue und dann wieder hinsehe, ist er immer noch da. Folglich hat er in dieser Stunde unabhängig von meinem Bewusstsein weiterexistiert.

w. z. b. w (was zu beweisen war)
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Re: Probleme der Philosophie von Bertrand Russell

Beitragvon Burkart » So 5. Mai 2024, 14:51

Matthias hat geschrieben:Satz: Materielle Gegenstände existieren unabhängig von unserem Bewusstsein.

Beweis: Wenn ich den Baum vor meinem Fenster eine Stunde lang nicht anschaue und dann wieder hinsehe, ist er immer noch da. Folglich hat er in dieser Stunde unabhängig von meinem Bewusstsein weiterexistiert.

w. z. b. w (was zu beweisen war)

Und wenn er nun zwischendurch eben doch nicht da war? :D
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Re: Probleme der Philosophie von Bertrand Russell

Beitragvon Matthias » So 5. Mai 2024, 15:59

Burkart hat geschrieben:Und wenn er nun zwischendurch eben doch nicht da war? :D

Das habe ich auch gerade überlegt. Aber wieso sollte er an die genau gleiche Stelle zurückgekommen sein? :)
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Re: Probleme der Philosophie von Bertrand Russell

Beitragvon Burkart » So 5. Mai 2024, 16:17

Matthias hat geschrieben:
Burkart hat geschrieben:Und wenn er nun zwischendurch eben doch nicht da war? :D

Das habe ich auch gerade überlegt. Aber wieso sollte er an die genau gleiche Stelle zurückgekommen sein? :)

Um dich zu ärgern? :D
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Re: Probleme der Philosophie von Bertrand Russell

Beitragvon nauplios » So 5. Mai 2024, 18:44

Diese Überlegungen, ob der Baum auch noch während meines Wegsehens da war oder ob er, um ins Dasein zu kommen, auf meine Konstruktion angewiesen ist, gehören zu einer Debatte, die in philosophischen Foren seit Jahrzehnten geführt wird. ;) Aber nicht nur dort, auch in der akademischen Philosophie. Ihre degenerative Formen finden diese Seiten in einem Vulgärkonstruktivismus, der die Existenz des Baumes von der Wahrnehmung durch ein Bewußtsein abhängig macht, und einem Vulgärrealismus, der jedwede konstruktive Beteiligung des Bewußtseins leugnet.

In dieser Schlachtordnung wird der Stellungskrieg geführt. Eine philosophische Erkenntnis ist damit nicht verbunden, weil die Status von Erkenntnissen ja gerade strittig ist. Wie ist Erkenntnis möglich? Um diese Frage beantworten zu können, braucht es das, was in der Frage fraglich ist, Erkenntnis. Wie kommt man aus dieser Dauerschleife heraus? - Indem man die alte Ontologie des Seins verabschiedet. Die Frage, ob der Baum noch da ist, wenn ich wegschaue, läßt sich ontologisch gar nicht beantworten. Dazu müßte ich gleichzeitig hinschauen und wegschauen. Die Lösung: der Beobachter. Der Beobachter kann mich beim Beobachten beobachten. Er kann sehen, daß ich nicht sehe, was ich nicht sehe, wobei er nicht sehen kann, daß er nicht sehen kann, was er nicht sehen kann. Das könnte nur ein Beobachter, der den Beobachter beim Beobachten beobachtet usw. Das heißt aber dann, daß man die Theorie von Einheit auf Differenz umstellen muß. Für die Ontologie ist die Einheit Sein. Und damit läuft man in die erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten, daß sich nicht klären läßt, ob es den Baum trotz Beobachter gibt oder wegen des Beobachters. Denn auch der Beobachter gehört zum Sein. Er kommt also auf beiden Seiten vor, auf der Seite des Beobachteten und auf der Seite des Beobachtenden.
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Re: Probleme der Philosophie von Bertrand Russell

Beitragvon Burkart » So 5. Mai 2024, 19:34

Also mir reicht Ockhams Rasiermesser dafür (bzw. allgemeine Erkenntnisse), dass der Baum sich nicht verkrümelt, wenn ich nicht hinschaue.
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Re: Probleme der Philosophie von Bertrand Russell

Beitragvon Matthias » Mo 6. Mai 2024, 00:08

nauplios hat geschrieben:Dazu müßte ich gleichzeitig hinschauen und wegschauen. Die Lösung: der Beobachter. Der Beobachter kann mich beim Beobachten beobachten. Er kann sehen, daß ich nicht sehe, was ich nicht sehe, wobei er nicht sehen kann, daß er nicht sehen kann, was er nicht sehen kann. Das könnte nur ein Beobachter, der den Beobachter beim Beobachten beobachtet usw. Das heißt aber dann, daß man die Theorie von Einheit auf Differenz umstellen muß. Für die Ontologie ist die Einheit Sein. Und damit läuft man in die erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten, daß sich nicht klären läßt, ob es den Baum trotz Beobachter gibt oder wegen des Beobachters. Denn auch der Beobachter gehört zum Sein. Er kommt also auf beiden Seiten vor, auf der Seite des Beobachteten und auf der Seite des Beobachtenden.

Eine Frage ist, ob es den Baum vor meinem Fenster als ageschlossene Einheit gibt. Darauf müsste man sich zuerst einigen. Die andere Variante wäre, dass es den Baum als Einheit gar nicht geben kann, weil er auf wunderbare Weise noch mit irgendwelchen schwarzen Löchern im Universum verknüpft ist oder sonst wie von anderen Dingen abhängt. Ich denke, dann würde aber alles von allem abhängen und ein Einzelnes könnte gar nicht existieren.
Sagen wir, es gibt den Baum vor meinem Fenster, weil wir uns darauf geeinigt haben. Dann kommt das mit dem Beobachter. Meinst du es so, Nauplios, dass ein Dritter dabei sein müsste, der mich und den Baum beobachtet? Der würde dann die Stunde, wo ich nicht hinschaue, den Baum und mich weiter beobachten und könnte mir bestätigen, dass der Baum immer da war, als ich weg war? So in etwa? Da würde ich das Problem sehen, dass ich die Situation dann nicht alleine beurteilen könnte, sondern quasi Hilfe bräuchte. Die Frage ist, ob diese Hilfe dann irgendwelche anderen Möglichkeiten hat als ich.
Und schliesslich. Ich glaube das Problem ist nicht, ob es den Baum trotz oder wegen mir gibt, sonder wichtig wäre, ob es ihn unabhängig von mir gibt.
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Re: Probleme der Philosophie von Bertrand Russell

Beitragvon Matthias » Mo 6. Mai 2024, 10:38

Was bedeutet eigentlich eine Erkenntnis?
Hier die Beschreibung von Wikipedia:
Der Begriff Erkenntnis ist in der Philosophie umstritten; eine einheitliche Definition hat sich nicht herausgebildet. In einer ersten Annäherung kann man Erkenntnis als den Prozess und das Ergebnis eines durch Einsicht oder Erfahrung gewonnenen Wissens bezeichnen.

Vielleicht sollten wir uns zuerst darauf einigen, was wir unter einer Erkenntnis verstehen wollen. Vorschlag: Gewinnung von Wissen. Wenn man etwas erkannt hat, dann hat man neues Wissen erlangt. Oder wie seht ihr es?
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Re: Probleme der Philosophie von Bertrand Russell

Beitragvon nauplios » Mo 6. Mai 2024, 19:42

Matthias hat geschrieben:
Eine Frage ist, ob es den Baum vor meinem Fenster als ageschlossene Einheit gibt. Darauf müsste man sich zuerst einigen. Die andere Variante wäre, dass es den Baum als Einheit gar nicht geben kann, weil er auf wunderbare Weise noch mit irgendwelchen schwarzen Löchern im Universum verknüpft ist oder sonst wie von anderen Dingen abhängt. Ich denke, dann würde aber alles von allem abhängen und ein Einzelnes könnte gar nicht existieren.
Sagen wir, es gibt den Baum vor meinem Fenster, weil wir uns darauf geeinigt haben. Dann kommt das mit dem Beobachter. Meinst du es so, Nauplios, dass ein Dritter dabei sein müsste, der mich und den Baum beobachtet? Der würde dann die Stunde, wo ich nicht hinschaue, den Baum und mich weiter beobachten und könnte mir bestätigen, dass der Baum immer da war, als ich weg war? So in etwa? Da würde ich das Problem sehen, dass ich die Situation dann nicht alleine beurteilen könnte, sondern quasi Hilfe bräuchte. Die Frage ist, ob diese Hilfe dann irgendwelche anderen Möglichkeiten hat als ich.
Und schliesslich. Ich glaube das Problem ist nicht, ob es den Baum trotz oder wegen mir gibt, sonder wichtig wäre, ob es ihn unabhängig von mir gibt.


Ich meine, daß die Erkenntnistheorie in ihrer überlieferten Form mitsamt ihren ontologischen Implikationen die Frage, ob es den Baum nur gibt, weil ich ihn wahrnehme (Vulgärkonstruktivismus) beziehungsweise, daß ich ihn ohne Mitwirkung kategorialer Formen (Vulgärrealismus) erkenne wie er an sich ist, die Frage nicht befriedigend beantworten kann (s.o.). Ob es den Baum also „unabhängig von mir gibt“ - diese Frage kann die klassische Erkenntnistheorie gar nicht beantworten. Sicher, sie kann sich für eine Seite entscheiden, aber nur willkürlich. Die Systemtheorie bietet demgegenüber an, die Theorie von Einheit auf Differenz umzustellen. Sie setzt nicht die Einheit eines Seins voraus, sondern die Differenz von System und Umwelt. Dadurch umgeht sie die Aporien, die sich ergeben, wenn man hier den Gegenstand hat und dort das Subjekt. Denn durch diese ontologische Fehlstellung kommt man in die Verlegenheit, daß man mit dem Subjekt ja auch einen Gegenstand hat. Was man also erst erklären will, setzt man bereits voraus.
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Re: Probleme der Philosophie von Bertrand Russell

Beitragvon Matthias » Di 7. Mai 2024, 19:41

nauplios hat geschrieben:Sie setzt nicht die Einheit eines Seins voraus, sondern die Differenz von System und Umwelt.

Da muss ich leider passen. Ich kenne die Systemtheorie zu wenig oder gar nicht.
Aber vielleicht kann man einige Anhaltspunkte bestimmen, wenn man eine Erkenntnis hat. Ich denke, einen materiellen Gegenstand können wir nicht genau so wahrnehmen, wie er ist. Wir können ihn nur so wahrnehmen, wie er uns erscheint. Dieses Problem kann auch eine andere Theorie nicht beseitigen, glaube ich. Oder wie löst die Systemtheorie das Problem, wie wir etwas wahrnehmen und wie es tatsächlich ist? Oder seht ihr hier gar kein Problem? Stehe ich da alleine im Raum?

Ich denke, wenn wir etwas sehen, dann kommt es darauf an, was wir alles über dieses etwas wissen. Wenn jemand die Bäume gut kennt, dann kann er noch die Art des Baumes bestimmen. Zum Beispiel wüsste er dann noch, das ist eine Buche. Die Frage ist jetzt, nimmt jemand, der die Art des Baumes noch kennt, diesen anders wahr als jemand der keine Ahnung hat von Bäumen? Ich denke in diese Richtung müssten wir forschen.
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Re: Probleme der Philosophie von Bertrand Russell

Beitragvon nauplios » Do 9. Mai 2024, 17:35

Matthias hat geschrieben:
nauplios hat geschrieben:Sie setzt nicht die Einheit eines Seins voraus, sondern die Differenz von System und Umwelt.

Da muss ich leider passen. Ich kenne die Systemtheorie zu wenig oder gar nicht.
Aber vielleicht kann man einige Anhaltspunkte bestimmen, wenn man eine Erkenntnis hat. Ich denke, einen materiellen Gegenstand können wir nicht genau so wahrnehmen, wie er ist. Wir können ihn nur so wahrnehmen, wie er uns erscheint. Dieses Problem kann auch eine andere Theorie nicht beseitigen, glaube ich. Oder wie löst die Systemtheorie das Problem, wie wir etwas wahrnehmen und wie es tatsächlich ist? Oder seht ihr hier gar kein Problem? Stehe ich da alleine im Raum?



Das Problem sehe ich mit der Systemtheorie „beseitigt“. Einer der Referenzaufsätze in diesem Zusammenhang ist Niklas Luhmanń s Erkenntnis als Konstruktion von 1988. Dieser Aufsaz ist also 36 Jahre alt; vielen ist er unzugänglich, weil sie es ablehnen, sich in die Voraussetzungen einzuarbeiten, die dieser Aufsatz mit sich bringt. Man kann ihn nicht verstehen, wenn man die Grundkonzeption der Luhmann ´schen Sytemtheorie nicht kennt. Es ist natürlich auch so, daß man damit ein Problem „verliert“, was manchem ans Herz gewachsen ist. Ist die Leberwurst auch dann im Kühlschrank, wenn die Kühlschranktür geschlossen ist? Könnte es sein, daß sie dann auf dem Mars liegt und beim Öffnen der Tür ist sie wieder da, weil man sie nämlich dann sehen kann?

Mit diesem „Problem“ schlagen sich Generationen von Foren-Teilnehmern herum. Die einen sagen: die Existenz der Leberwurst hängt davon ab, daß sie von uns wahrgenommen wird (Vulgärkonstruktivismus), die anderen sagen: die Leberwurst ist in ihrer Existenz nicht von unserer Wahrnehmung abhängig; Ding an sich und Erscheinung sind identisch (Vulgärrealismus). Ich denke, daß beide Sichtweisen in die Irre führen. Daß es diese beiden unversöhnlichen Sichtweisen aber überhaupt gibt, ist eine Folge der ontologischen Grundannahmen, die dabei im Spiel sind.
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Re: Probleme der Philosophie von Bertrand Russell

Beitragvon Matthias » Do 9. Mai 2024, 22:44

nauplios hat geschrieben:Man kann ihn nicht verstehen, wenn man die Grundkonzeption der Luhmann ´schen Sytemtheorie nicht kennt. Es ist natürlich auch so, daß man damit ein Problem „verliert“, was manchem ans Herz gewachsen ist. Ist die Leberwurst auch dann im Kühlschrank, wenn die Kühlschranktür geschlossen ist?

Ich weiss nicht, ob ich dazu kommen werde, die Systemtheorie von Luhmann zu lesen. Aber wie ist es, wenn man argumentiert, dass verünftigerweise die Leberwurst noch im Kühlschrank ist? Wird dieser Standpunkt in der Systemtheorie berücksichtigt?
Mir vernünftigerweise meine ich in diesem Fall, aufgrund von Erfahrungswerten. Ich habe in meinem Leben tausendmal ein Kühlschrank geöffnet. Darf ich dann nicht vernünftigerweise annehmen, dass die Leberwurst noch im Kühlschrank ist? Also einmal ganz unabhängig davon wie und warum sie existiert?
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Re: Probleme der Philosophie von Bertrand Russell

Beitragvon nauplios » Fr 10. Mai 2024, 19:47

Matthias hat geschrieben:
nauplios hat geschrieben:Man kann ihn nicht verstehen, wenn man die Grundkonzeption der Luhmann ´schen Sytemtheorie nicht kennt. Es ist natürlich auch so, daß man damit ein Problem „verliert“, was manchem ans Herz gewachsen ist. Ist die Leberwurst auch dann im Kühlschrank, wenn die Kühlschranktür geschlossen ist?

Ich weiss nicht, ob ich dazu kommen werde, die Systemtheorie von Luhmann zu lesen. Aber wie ist es, wenn man argumentiert, dass verünftigerweise die Leberwurst noch im Kühlschrank ist? Wird dieser Standpunkt in der Systemtheorie berücksichtigt?
Mir vernünftigerweise meine ich in diesem Fall, aufgrund von Erfahrungswerten. Ich habe in meinem Leben tausendmal ein Kühlschrank geöffnet. Darf ich dann nicht vernünftigerweise annehmen, dass die Leberwurst noch im Kühlschrank ist? Also einmal ganz unabhängig davon wie und warum sie existiert?



Die Systemtheorie hat sich von der Unterscheidung Subjekt/Objekt oder Mensch/Welt oder Ich/Gegenstand völlig verabschiedet. Sie operiert stattdessen mit der System/Umwelt-Differenz. Wenn sie vom „Beobachter“ spricht, darf man nicht an Subjekte oder Menschen denken. Beobachten können auch soziale Systeme. Die Systemtheorie verabschiedet die komplette alteuropäische Erkenntnistheorie und Ontologie. Dies nachzuvollziehen erfordert natürlich eigenes Lesen und Studieren.
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Re: Probleme der Philosophie von Bertrand Russell

Beitragvon Matthias » Mi 15. Mai 2024, 20:52

Wie dem auch sei. Zurück zu, Probleme der Philosophie, von Bertrand Russell.

Und zwar zu Kapitel 5. Erkenntnisformen: Bekanntschaft und Beschreibung

"Jeder Satz, den wir verstehen können, muss vollständig aus Bestandteilen zusammengesetzt sein, die uns bekannt sind...

...Wenn wir zum Beispiel eine Aussage über Julius Cäsar machen, ist es klar, dass wir nicht an Julius Cäsar selber denken, denn wir kennen ihn nicht. Wir denken an eine Beschreibung von Julius Cäsar: "Der Mann, der an den Iden des März ermordert wurde" oder "der Begründer des Römischen Reiches".

Die Erkenntnis durch Beschreibung ist deshalb so wichtig, weil sie uns in die Lage versetzt, die Grenzen unserer persönlichen Erfahrung zu überschreiten." (Bertrand Russell)

"Wir können zwar nur solche Wahrheiten erkennen, mit deren Bestandteilen uns unsere Erfahrung bekanntgemacht hat, kennen aber durch Beschreibung Dinge, die selbst noch nie in unserer Erfahrung vorgekommen sind. Angesichts der sehr engen Grenzen, die unserem unmittelbaren Erleben gesetzt sind, ist das ein äusserst wichtiges Ergebnis..."

Um was geht es? Es geht darum, wie wir etwas wissen können, eine Erkenntnis haben können. Ich denke, die Motivation dabei ist, dass es unbefriedigend ist, wenn man sich nicht sicher sein kann über das, was man weiss.
"Die Idealisten leugnen also, dass die Materie als etwas vom Bewusstsein wesentlich Verschiedenes existiert, obgleich sie nicht leugnen, dass unsere Sinnesdaten Zeichen von etwas sind, das unabhängig von unseren subjektiven Empfindungen existiert."
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Re: Probleme der Philosophie von Bertrand Russell

Beitragvon nauplios » Fr 17. Mai 2024, 19:04

Matthias hat geschrieben:
„Die Erkenntnis durch Beschreibung ist deshalb so wichtig, weil sie uns in die Lage versetzt, die Grenzen unserer persönlichen Erfahrung zu überschreiten." (Bertrand Russell)

"Wir können zwar nur solche Wahrheiten erkennen, mit deren Bestandteilen uns unsere Erfahrung bekanntgemacht hat, kennen aber durch Beschreibung Dinge, die selbst noch nie in unserer Erfahrung vorgekommen sind. Angesichts der sehr engen Grenzen, die unserem unmittelbaren Erleben gesetzt sind, ist das ein äusserst wichtiges Ergebnis..."



Russell spricht hier gleich zweimal von „Beschreibung“: Die „Erkenntnis durch Beschreibung“. - Wir müssen also nicht jede Erfahrung selber machen. Unser „unmittelbareres Erleben“ würde uns andernfalls nur einen winzig kleinen Bestand von Welterkenntnis bieten, wenn jedes Erleben nur in der Form der eigenen Erfahrung möglich wäre. Daß es am Nordpol kalt ist, weiß ich, weil andere schon da waren und ihr Erleben dort beschrieben haben. Dem Menschen steht eine unüberschaubare Fülle von fremden Beschreibungen zur Verfügung, um sich ein Bild von der Welt, in der er lebt, machen zu können. -

Die Phänomenologie ist eigentlich die Wissenschaft der Beschreibung von Bewußtseinserlebnissen; sie will ja eine „deskriptive“ Wissenschaft sein, d.h. „Erkenntnis durch Beschreibung“.
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Re: Probleme der Philosophie von Bertrand Russell

Beitragvon Matthias » Sa 18. Mai 2024, 15:13

Aus Wikipedia:
Das Wort „Phänomen“ beschreibt schon im Altgriechischen eine Erscheinung (siehe hierzu die Etymologie von Phänomen), womit ein mit den Sinnen wahrnehmbares einzelnes Ereignis gemeint ist.

Ich finde den Begriff Phänomen sehr interessant. Mich dünkt, er hat etwas Verbindendes zwischen Rationalismus und Empirismus. Ein Phänomen ist weder rein geistig noch rein materiell, es ist eben ein Phänomen, ein Naturerlebnis?

Ja, Nauplios, das sehe ich auch so. Was mich ein wenig stört ist, dass man dann private Erlebnisse und öffentliche streng trennen muss. Mit privat meine ich eigene Erfahrung, mit öffentlich meine ich solche Erfahrung, die uns von anderen Menschen mitgeteilt wird. Gibt es da nicht noch ein Zwischending? So ein Gemisch von privater mit öffentlicher Erfahrung?
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Re: Probleme der Philosophie von Bertrand Russell

Beitragvon nauplios » Sa 18. Mai 2024, 17:37

Matthias hat geschrieben:Aus Wikipedia:
Das Wort „Phänomen“ beschreibt schon im Altgriechischen eine Erscheinung (siehe hierzu die Etymologie von Phänomen), womit ein mit den Sinnen wahrnehmbares einzelnes Ereignis gemeint ist.

Ich finde den Begriff Phänomen sehr interessant. Mich dünkt, er hat etwas Verbindendes zwischen Rationalismus und Empirismus. Ein Phänomen ist weder rein geistig noch rein materiell, es ist eben ein Phänomen, ein Naturerlebnis?

Ja, Nauplios, das sehe ich auch so. Was mich ein wenig stört ist, dass man dann private Erlebnisse und öffentliche streng trennen muss. Mit privat meine ich eigene Erfahrung, mit öffentlich meine ich solche Erfahrung, die uns von anderen Menschen mitgeteilt wird. Gibt es da nicht noch ein Zwischending? So ein Gemisch von privater mit öffentlicher Erfahrung?


Ein solches „Zwischending“ liegt im Grunde mit der Phänomenologie Husserls vor. Edmund Husserl (1859-1938) war ein Zeitgenosse von Bertrand Russell (1872-1970). Er wurde 13 Jahre früher geboren und Russell überlebte ihn um 32 Jahre. In Husserls Phänomenologie geht es um die Strukturen des Bewußtseins. Das Bewußtsein ist natürlich kein öffentlicher Erfahrungsraum, aber es gibt keinen Grund zu der Annahme, daß Herr Meiers Bewußtsein grundsätzlich von ganz anderer Art ist wie das von Herrn Mülller. Husserl hat als die Grundstruktur eines jeden Bewußtseins die Intentionalität ausgemacht, d.h. Bewußtsein ist immer Bewußtsein von etwas, es ist immer gerichtetes Bewußtsein. Phänomene wie die Erinnerung gibt es in jedem Bewußtsein (in aller Regel zumindest) oder auch die sogenannte Fremdwahrnehmung oder das Phänomen der Wahrnehmungsapperzeption, daß uns ein Gegenstand in der Wahrnehmung immer nur perspektivenabhängig gegeben ist u.ä. - Das Bewußtsein ist zwar immer nur ein je individuelles, aber andererseits lassen sich seine allgemeinen Grundstrukturen (also solche, die erfahrungsgemäß für jedes Bewußtsein gelten) dennoch beschreiben.
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Re: Probleme der Philosophie von Bertrand Russell

Beitragvon Matthias » Sa 18. Mai 2024, 20:09

nauplios hat geschrieben:Das Bewußtsein ist zwar immer nur ein je individuelles, aber andererseits lassen sich seine allgemeinen Grundstrukturen (also solche, die erfahrungsgemäß für jedes Bewußtsein gelten) dennoch beschreiben.

Ja, das denke ich schon. Nehmen wir die Sprache. Da müssen gewisse Wahrnehmungen bezüglich der Sprache gemeinsam sein, sonst würde man sich gar nicht verstehen können. Oder wenn wir Musik hören, können gewisse Wahrnehmungen nicht grundsätzlich verschieden sein. Aber wahrscheinlich sind das nur sehr rudimentäre Grundstrukturen, die gemeinsam sind und dann hört es sofort auf. Dann hat jeder durch seine zahllosen Einzelerfahrungen, die er im Leben gemacht hat, sein Bewusstsein anders geformt.
Dann, was ich noch wichtig finde, es können einem innere oder äussere Vorgänge bewusst werden. Also ein Gedanke oder ein Gefühl kann mir bewusst werden oder etwas, das ich sehe, wird mir bewusst.
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