«Lass mich das vorweg in die Runde sagen, weder lügen die
Musen noch sagen sie die Wahrheit, wie es ihnen gefällt.
Sondern die Männer vom Lande unterstellen es,
- besonders jenen mit runden Bäuchen -
Falsches bewusst so zu sagen, dass einer es fürs seines hält.
Oder aber bei einem Wunschkind bewusst Wahres zu sagen
und zu feiern.» (Hesiod, Theogonie, Verse 24 bis 28)
Seit Franz am Olymp übernachtet hat, ist er ganz Ohr und von allem verzaubert, was über die Musen zu vernehmen ist. Das ging so weit, dass er mit elektronischer Hilfe sich über die Originaltexte hermachte und wie oben seine eigenen Deutungen kreierte. Das versteht, wer je im Frühling durch Griechenland reist und den Blick kaum lassen kann vom schneeweissen Olymp.
Es war Ostern 2012, eine Gruppenreise im halbvollen Reisebus der Königsklasse und daher mit rundum freier Sicht. Ganz begeistert fasste Blanka den Entschluss, nächstes Jahr das fast Dreitausend Meter hohe Massiv zu erwandern. Franz zog mit und kündete an, dafür in den Alpen zu trainieren. Sein berggängiger Arbeitskollege Benno B. gab den Tipp, «Nicht mehr als ein Dutzend Kilo darf’s sein, jedes weitere Kilo schlägt in den Rücken und auf die Gelenke». Blanka und Franz wanderten viel und machten im Spätsommer im Wallis die Hauptprobe von Saint-Luc nach Sankt Niklaus. Mit leichtem Gepäck am Rücken ging’s über zwei hohe Pässe. Dazwischen erholten sie sich im Hotel in Gruben und bei V. O., Blankas Arbeitskollegin im Turtmanntal. Franz mähte bei ihrem Feriengaden den kleinen Umschwung mit der nigelnagelneuen Sense. Die Nachbarn zeigten sich schadenfreudig über den Üsserschwiizer. Vergebens! Denn die schulterhohen Gräser und Blumen vielen Schritt für Schritt und Zug für Zug links an die Walme. Franz kannte den Trick von Edi Senior, man zieht die Sense von links aussen dem ungeschnittenen Gras entlang sanft über den Boden, rechts angekommen, schiebt sich der linke Fuss um seine halbe Länge vor und dann kommt der Schnitt von rechts nach links, das Gras fällt auf die Sägeze und dann an die Walme, der rechte Fuss geht um die halbe Länge vor, die Sägeze wie beschrieben, das stehenden Gras schüttelnd den Boden ergründend zurück. Die neugierigen Nachbarn zogen sich enttäuscht auf ihre Verandas zurück.
Im Sommer 2013 war es so weit. Unter der Leitung von Makis Logiotatidis ging’s von Lithochoro, fast auf Meereshöhe, in drei Etappen zum Nebengipfel Skolio aber nicht wie geplant knapp unter den Gipfeln durch auf das Plateau der Musen, sondern wegen der vereisten Passage zurück zu der Berghütte A. Das Mittagessen nahmen sie auf der Terrasse ein, inmitten der wie im Wallis mächtigen Föhren. Danach stiegen sie hinauf zum Plateau der Musen. Siebzehn-Hundert Meter Aufstieg in einem Halbtag brachten Blanka und Franz nahe ans Limit. Dank Makis Intervention per Mobilphone nahm der Hüttenwart Christos Kakalos wenige Stunden vorher seine Berghütte zum Saisonstart auf dem Plateau in Betrieb, die Mulis brachten den ganzen Hausrat nach oben und traten soeben den Rückweg an. Seine Muse, sie hätte der Korenhalle auf der Anhöhe über Athen entstiegen sein können, brannte darauf ihr Kletterkünste am Thron des Zeus zu verfeinern.
Ein kurzer Abendspaziergang auf dem Plateau führte um eine riesige Doline mit sanftem Abhang herum, an den Nordhang des Olymps, zu einem lehmigen, unbegehbaren, grässlichen Abgrund. Seither ist Franz überzeugt, dass der Text über die Musen am Olymp in Hesiods Theogonie als Orts- und Reisebeschreibung zu lesen ist. In Vers 114 ist zu vernehmen, dass, die Musen schon vor zweitausend siebenhundert Jahren am Olymp seit eh und je Häuser hielten. Daher vermutet Franz, dass in den Ohren der Leute vom Land auch an andere Textstellen die ganz alltäglichen und gewöhnlichen Sorgen von damals herauszuhören sind. Franz besuchte sogar einen Altgriechisch Kurs. Er konnte zwar verstehen, dass nebst den heiligen Übersetzungen seine profanen rätsellosen Deutungen uninteressant waren, ‘beglückte’ aber dennoch die Altphilologen mit seinen Ergüssen, die um ihres eigenen Rufes willen sie nicht wirklich wertschätzen durften.